Dienstag, 9. September 2014

Nicht mein Körper, nicht mein Leben, nicht meine Entscheidung

Alles an mir wurde von meiner Mutter bestimmt. Was ich für Klamotten trug, was mit meinen Haaren war, wie ich was zu machen hatte. Meine Meinung war nie gefragt.
Zu Beginn war es die Kleidung. Ich trug die abgelegten Sachen meines großen Bruders, das Geld war ja immer knapp. Wenn meine Mutter gebrauchte Klamotten von Freunden bekam, wanderte das auch in meinen Schrank. Nur selten waren Mädchensachen dazwischen. In der Grundschule war es mir zwar noch nicht so unangenehm in solchen Sachen rumzulaufen, aber mit 10 war es mir immer peinlicher. Ich hätte mir keine tollen Klamotten gewünscht, einfach normale Mädchenkleidung hätte mich glücklich gemacht. Aber ich besaß nur diese typischen Jeanshosen, die auch mein Bruder trug, weite Pullover und Shirts, die eigentlich schon seit einem Jahrzehnt aus der Mode waren. Röcke oder Kleider besaß ich mit der Zeit immer weniger, doch schon am Anfang waren sie knapp vertreten in meinem Schrank. Meist durfte ich sie auch nicht tragen, sie waren zu gut für den Alltag. Ich erinnere mich an ein hübsches Winterkleid, es hatte ein blau-cremefarbenes Schottenmuster und eine tolle dunkelblaue Schürze, beides aus wunderbar weichen, warmen Stoff. Getragen habe ich dieses tolle Kleid jedoch nur einmal. Hingegen gab es andere Dinge, die ich tragen musste, weil meine Mutter es so wollte, weil sie die toll fand. Pullis, deren Kragen kratze, steife raue Jeanshosen, wozu man erwähnen muss das ich dieses Gefühl von rauen Jeansstoff unter meinen Fingern absolut widerlich finde, Jacken, indenen ich völlig unterging, mich nicht wärmen konnten weil der Wind leicht reinzog und einfach grauenhaft aussahen, die Liste verhasster Kleidungsstücke ist lang. Als ich noch kleiner war, vielleicht 5 oder 6 Jahre, bekam meine Mutter von irgendwo her ein Unterwäsche-Set für Mädchen her, in grau, mit 101 Dalmatiner-Print darauf. Sie fand es so toll, natürlich hatte ich das zu tragen und gefälligst auch wert zu schätzen. Der Print störte mich nicht, im Gegenteil. Auch der Stoff war angenehm auf der Haut. Aber es war einfach zu klein für mich. Recht bald nachdem das Set durch die erste Wäsche gelaufen war, lag die Unterhose zwischen den Klamotten, die ich an einem Morgen anziehen sollte. Mir graute es, aber ich wusste auch was passieren würde, wenn ich mich weigern oder schlichtweg fragen würde, ob ich eine andere anziehen dürfte. Ich wäre undankbar, nichts weiß ich zu schätzen, das ist neu, das muss dir gefallen! Da sich nicht die Möglichkeit bot unbemerkt die Hose zu wechseln, musste ich sie anziehen. Die Bündchen an den Beinen taten weh, es zwickte und war einfach unangenehm. Wie in vielen anderen Situationen mit meiner Mutter versuchte ich die Sache so gut wie möglich irgendwie 'abzuwickeln', die Zeit rumkriegen, das es vorbei war, einfach der Gedanke, das geht auch vorbei und ist nicht so schlimm wie das Essen. An diesem Tag fuhren wir zum Standesamt, ich weiß nicht mehr genau weswegen, vielleicht mussten wir mal wieder umgemeldet werden oder es ging um irgendwelche anderen Papiere. Es waren viele Menschen da, meine Mutter war gereizt, da es sich ewig hinzog. In dem Standesamt gab es überall diese blauen Holzbänke, sie waren fest an den Wänden integriert, mit ein paar Bögen und Wellen, sie waren deutlich älter, aber doch irgendwie hübsch. Wir saßen also dort und warteten. Eigentlich hatte ich keine Probleme, stundenlang Löcher in die Luft zu starren und vor mich hinzu träumen, aber die Bündchen der Hose zwickten immer mehr an den Oberschenkeln, es tat einfach weh, ich rutschte immer wieder hin und her, stand auf, setzte mich hin, juckte mich an den Seiten und versuchte die Bündchen etwas von der Haut zu heben. Die Nerven meiner Mutter strapazierte dies wohl in einem größeren Maße, irgendwann flüsterte sie mir wütend zu, mich gefälligst hinzusetzen und ruhig zu sein, es wäre peinlich das ich so viel Aufmerksamkeit mit meinem Theater machen würde. Der Grund interessierte sie nicht im Geringsten. Also ruhig sitzen, kein Mucks von sich geben und volle Konzentration weg von dem, was weh tat. Als die Hose nach der nächsten Wäsche wieder in meinem Schrank lag, ließ ich sie hinterm Schrank verschwinden.
Dieses 'Verschwinden' von Kleidungsstücken nutzte ich später hin und wieder, um Unliebsames loszuwerden.
Meine Haare unterlagen ebenfalls dem Recht meiner Mutter. Sie waren sehr lang, bis über den Po, dickes, schweres Haar. Ich hatte nie wirklich das Gefühl gehabt, lange Haare seien was Tolles. Zwar bewunderten mich alle für meine Haarpracht, aber sonst konnte ich ihnen wenig abgewinnen. Ich spielte gerne mit den Strähnen, das mache ich noch heute, aber die Pflege der Haare war für mich belastend. Meine Mutter hatte sie mir als Kind immer gekämmt. Es tat furchtbar weh. Direkt oben vom Scheitel zog sie die Bürste komplett bis zu den Spitzen durch, es ziepte so sehr, das ich immer jammerte. Das regte sie auf und ließ sie noch wüster die Haare kämen. Wer schön sein will muss leiden! Das war ihr Dauerspruch dazu. Zwei Dinge daran passten eindeutig nicht. Ich riss mich nicht drum, so lange Haare zu haben und außerdem wollte ich nicht schön sein, in diesem Alter hatte ich andere Dinge im Kopf. Es kam schon einmal vor, das dickere Strähnen in der Bürste zurück blieben. Als ich etwas älter war, vielleicht 11 oder 12, kämmte mir meine Mutter die Haare, nachdem sie mir diese gewaschen hatte. Aufgrund irgendeines Wutanfalles. Ich hab keine genaue Erinnerung daran, was davor passierte. Das Wasser war ziemlich heiß, das Shampoo brannte in den Augen. Anschließend ging sie mit ihrem geliebten blauen, grobzinkigen Kamm an meine Haare. Der Kamm hatte vielleicht 7 Zinken, sie waren unten einen Zentimeter breit und liefen dann spitz zu. Eigentlich ein sehr stabiler Kamm. Sie riss so stark an meinen Haaren, das einige Zinken in meinen Haaren abbrachen. Der Wutrausch, der daraus resultierte, war noch schlimmer als meine Schmerzen, ich hatte nahezu das Gefühl das meine Schmerzen aus Schuldgefühl verschwanden, weil wegen mir ihr Lieblingskamm kaputt war.
Ich wünschte mir immer mehr die Haare abschneiden zu dürfen. Ich kam mir hässlich vor, meine Klamotten waren schon ein Graus für mich, aber dazu noch diese langen Haare, ohne Pony, mit Mittelscheitel in dem berühmten 'straßenköterblond', ich schaute nicht gerne in den Spiegel. Aber ich durfte meine Haare nicht abschneiden lassen. Wenn ich das Thema auch nur erwähnte, wurde meine Mutter sauer.
Meine Haare waren so dick und schwer, das man nicht viel mit ihnen machen konnte. Meine Mutter half mir in der Hinsicht sowieso nicht. Ich wusste wie man Haare einfach flechten kann, aber sowas wie Bauernzöpfe oder anderes beherrschte ich nicht. Haarklammern brachen kaputt bei der Last meiner Haare. Einen Zopf weiter oben am Hinterkopf führte schnell zu Kopfschmerzen, offen konnte ich sie auch nicht lassen, sie waren sofort im Weg und meine Ohren konnten nicht alle Strähnen aufhalten. Ich trug eigentlich immer nur einen einfachen Pferdeschanz, im Nacken zusammen gebunden, fertig. Meiner Mutter gefiel es nicht, wenn meine Haare hinter den Ohren waren, sie sagte, dadurch bekomme ich hässliche Segelohren, ich solle die Haare über die Ohren legen. Das tat ich allerdings nie. Ich fand es sah noch schlimmer aus, es erinnerte mich an eine Nonne oder die Frauen auf sehr alten schwarz-weiß Fotos.
An irgendeinem Silvester probierte ich einen kleinen Seitenscheitel aus, nur mit dem Ponyabschnitt. Es gefiel mir gut, es sah endlich mal anders aus, besser. Ich war irgendwie stolz, das ich durch so eine kleine Sache mich etwas könnte, etwas hübscher sein. Ich war 12 oder 13. Als meine Mutter mich dann sah, lachte sie mich aus und sagte, ich sehe aus wie Hitler. Das hat mich so gedemütigt, ich schämte mich so sehr für diesen Vergleich, das ich sofort mit einer Hand die Strähnen durcheinander brachte und wieder in mein Zimmer ging, um den Mittelscheitel wieder zu legen. Da war mein graues Ich wieder, ich fühlte mich dreckig, ich war es nicht wert, hübsch zu sein. Ab da versuchte ich keine Frisuren oder anderes aus, nicht das ich es vorher viel getan hatte, die Möglichkeiten waren ja beschränkt. Aber nun wollte ich erst recht nicht mehr, meine Devise war: nicht auffallen, nicht noch hässlicher sein, ein Pferdeschwanz und gut.
Ich wurde älter, auf der Hauptschule war ich öfters bei der Sozialpädagogin, sie hörte mir zu und versuchte mich etwas zu unterstützen, ohne direkt mit meiner Mutter Kontakt aufzunehmen. Sie sagte mir einmal, das Kinder ihre Eltern leider nicht erziehen können, das würde nie klappen und ich solle da weder Energie, noch Hoffnung rein investieren. Ich erzählte ihr auch von meinem Problem mit den Haaren, weil sie mich immer mehr belasteten. Ich weiß nicht wann sie dann doch Kontakt mit meiner Mutter aufnahm, aber eines Tages kam ich nach Hause und wurde von ihr angeschnauzt. Sie schrie, das ich aufhören sollte anderen Leuten etwas vorzujammern, das sie eine Rabenmutter wäre und ich armes Etwas mir nicht die Haare abschneiden dürfte. Ich solle doch machen was ich wolle, ich könnte auch gleich meine Koffer packen und zu der Sozialtussi ziehen, schneid dir doch gleich oben in deinem Zimmer die Haare ab!
Es tat sehr weh. Als ich oben in meinem Zimmer saß, musste ich mal wieder weinen. Aber erst, als ich hörte, das sie sich mit etwas anderem beschäftigte und ich für die nächste halbe Stunde für mich alleine war. Leise weinte ich, in einer Ecke meines Zimmers, die nicht sofort einsehbar von der Tür aus war. Sie wäre noch wütender geworden, wenn sie gesehen hätte, das ich heulte.
Nun war es ihr 'egal', ob ich meine Haare abschnitt. Geld für einen Friseur bekam ich natürlich nicht. Sie war sofort angesäuert, wenn das Thema irgendwie zur Sprache kam. Irgendwann aber kam der Tag, an dem mein Kopf von der Last befreit wurde. Von einer Klassenkameradin die Mutter war Friseure, sie hatte mir zugesagt mir die Haare zu schneiden, ohne das ich dafür zahlen musste. Ich war so überglücklich an diesem Tag, ich fuhr an diesem Tag extra mit dem Rad zur Schule, damit ich nach der Schule zu ihr konnte und danach nach hause fahren konnte, denn ein Bus in unser Dorf fuhr nach dem Schulbus nicht mehr. Auf dem Rückweg genoss ich es so sehr den Wind durch die Haare flattern zu lassen, es war ein so extrem freies Gefühl! Ich fühlte mich so wohl, einfach erleichtert. Zuhause gab es dafür dicke Luft, natürlich war meine Mutter alles andere als begeistert und das bekam ich auch in Form von Abweisung zu spüren. Ich hatte mich gegen ihren Willen gewandt.
Nicht immer war das so 'einfach', ich staune noch heute darüber, das es dann irgendwann möglich war.
Eine weitere Sache, über die meine Mutter herrschte, war der Zahnarztbesuch. Zahnärzte sind wichtig, das weiß ich auch und ich wusste, wenn ich ein Loch habe, dann muss das auch behandelt werden, sonst wird es schlimmer.
Die Zahnärztin war immer extrem unzufrieden mit mir. Ich putze für sie nicht ansatzweise gut genug, andauernd hatte ich kleine Löcher und das Elmex Gelée wollte ich auch nicht benutzen. Das ich jedoch empfindliche, weiche Zähne hatte und das Elmexzeug nicht vertrug, wischte sie mit einer Handbewegung davon. Stell dich nicht an! Wenn sie mich behandelte, war es eine Qual für mich. Betäubungen wirken nicht bei mir, spätestens nach dem dritten Mal nachspritzen hatte sie genug und bohrte genervt drauf los. Ich solle nicht so rumzappeln und jammern, ich wäre selber schuld. Jeder Besuch war schlimmer als der zuvor, ich hatte solch eine große Angst vor der Zahnärztin, doch es half nichts zu sagen, das ich nicht zu ihr hinwollte, denn dafür erntete ich jede Menge Ärger mit meiner Mutter. Wiederworte wurden nicht geduldet.
Als ich 13 war, wollte die Zahnärztin eine feste Zahnspange für mich planen. Nachdem fest stand, das ich noch drei Milchzähne hatte, beschloss sie kurzerhand, das mir diese gezogen werden mussten. Für mich war das ein totaler Schock, das Bohren war schon die Hölle, wie sollte ich denn das Ziehen von drei Zähnen überleben? Zwei der Milchzähne hatten bereits begonnen ihre Wurzeln aufzulösen, nur einer nicht, dieser hatte eine außergewöhnlich lange Wurzel. Das hinderte diese wüste Ärztin aber nicht daran, mir alle drei Zähne an einem Tag zu ziehen. Das die Betäubung wie immer nicht wirkte, war ihr auch egal. Nach dieser Tortour war ich fix und fertig, es tat so weh, vorallem der Zahn mit der langen Wurzel saß natürlich bombenfest. Sie war zufrieden mit ihrem Werk, das ich nur noch am Heulen und Zittern war, interessierte sie nicht. Im Anschluss überwies sie uns zu einem Kieferorthopäden, mit dem Hinweis für meine Mutter, das dieser Herr ganz besonders streng wäre und ich da bestens aufgehoben wäre.
Einen Monat später in der besagten Praxis kam für mich der nächste Schock. Ich wunderte mich selber schon, das nur zwei Zähne nachgewachsen waren, der Kieferorthopäde bestätigte mir das, was ich befürchtet hatte: der Zahn mit der langen Wurzel hatte keinen Nachfolger, er wäre mir also auf natürlichem Wege niemals ausgefallen und hätte dazu geführt, das eine Zahnspange nicht unbedingt notwendig gewesen wäre. Infolge dessen habe ich nun mehr Lücken oben im Kiefer, als es hätte sein müssen und ein Beheben wäre nur mit einer Brücke möglich, denn eine Spange geht nunmal nicht.
Für mich ist es noch heute sehr ärgerlich und auch traurig, das sowas mit mir gemacht wurde, ich sehe jeden Tag in den Spiegel und muss damit leben. Ich mag meine Zahnlücke in der Mitte, aber mein vierter obere Schneidezahn fehlt mir. Meine Mutter interessierte sich nicht für meine Gedanken, in ihren Augen war ich daran schuld das ich keine Zahnspange bekam, ich hatte wieder versagt, immer machte ich ihr nur Ärger.
Ich teilte ihr von mir immer nur das Nötigste mit, damit ich so viel wie irgendwie möglich meine Ruhe hatte.
Als ich 13 war, bekam ich meine Tage. Ich wusste was das war, wie das ablief. Das ist eine der wenigen Dinge, die meine Mutter wirklich gut gemacht hatte, sie hatte mich mit 10 Jahren aufgeklärt, sachlich, mit einem Buch.
Für mich war das nichts besonderes, ich wusste nur das ich ihr das nun sagen müsste, damit ich die benötigten Hygieneartikel von ihr bekam. Das lief sehr unspektakulär ab, da meine ersten Tage sich nur sehr leicht zeigten hatte ich auch keine Hektik. Meine Mutter musste an diesem Abend noch zu unserer Oma fahren, also beschloss ich mitzufahren, damit meine Brüder nicht dabei waren. Auf der Fahrt sagte sie mir, was wir bei Oma gleich abholen würden und das ich an dies oder das für den nächsten Tag denken sollte, organisatorische Dinge halt. Irgendwann dazwischen kam auch der Wocheneinkauf zur Sprache, wo ich dann im selben Ton wie zuvor meinte 'ich hab vorhin meine Tage bekommen, ich brauch dann was dafür.' Es kam ein 'ok' und dann ging es weiter mit anderen organisatorischen Dingen.
Irgendwann später habe ich von anderen Mädchen gehört, das ihre Mütter dann etwas besonderes unternahmen, fast schon wie ein kleines Ritual, um zu zeigen das man jetzt eine richtige junge Frau war. Einige Mütter gingen dann nur mit ihrer Tochter bummeln oder in ein Café, einfach etwas Zeit nur zu zweit als Mutter und Tochter. Sowas war mir völlig unbekannt, auch ohne Verbindung zur ersten Regel.
Etwas später eröffnete mir meine Mutter, das ich in ein paar Tagen einen Termin bei der Frauenärztin hätte. Ich war geschockt, was sollte ich denn da? Daraufhin sagte sie mir, da ich nun meine Tage habe, muss ich auch jährlich einmal zur Untersuchung. In diesem Moment wünschte ich mir, ich hätte ihr nichts erzählt. Das ist nicht dort hin wollte, interessierte sie wie gewohnt nicht, jedes Aufmüpfen wurde im Keim erstickt, nicht das ich es gewagt hätte groß gegen sie anzugehen, das war sehr dünnes Eis für mich.
Dann kam dieser Tag, ich saß in diesem Wartezimmer, meine Mutter neben mir, mit der Erwartung mir gegenüber, das ich ohne Theater oder sonstwas mich untersuchen lassen würde. Zum Glück bestand sie nicht darauf mit ins Untersuchungszimmer zu kommen.
Die Ärztin kannte ich schon, bei der letzten Schwangerschaft meiner Mutter waren wir immer hier gewesen, sie kannte mich also auch schon länger. Sie fragte wie es mir gesundheitlich geht, wie oft ich denn nun meine Tage schon hatte und ob ich schon einmal untersucht wurde. Ich sagte ihr, das ich die Untersuchung eigentlich nicht haben wollte und auch nicht verstand, warum ich die jetzt schon brauchen sollte. Sie erklärte mir ein paar Dinge und fragte wieder ein bisschen. Sie war verständnisvoll und sagte, ich sei gut aufgeklärt, ich habe grade erst meine Regel bekommen und da ich weder die Pille wollte, noch mich derzeit ernsthaft für Jungs interessierte, sah sie keinen Grund zur Untersuchung. Bereits ein Jahr zuvor wurde unsere Klasse im Biologieunterricht von A bis Z aufgeklärt, ich kannte sämtliche Verhütungsmittel und so war sie vollkommen zufrieden. Das Vertrauen, dass sie mir vermittelte, tat gut. Ich sollte mich selber melden, wenn ich Fragen hätte oder irgendwas wäre, wenn ich die Vorsorgeuntersuchung machen möchte und wann, wäre meine eigene Entscheidung.
Als ich wieder zurück zu meiner Mutter kam und sie fragte, wie es gelaufen sei, ob alles ok sei, erzählte ich ihr grob, das ich nicht untersucht werden musste und wir deshalb nur gesprochen hätten. Sie war stinksauer.
Dann kamen wieder diese ewig langen Momente, in denen sie mir Strafpredigten hielt, auf dem ganzen Heimweg regte sie sich über mich auf, mal wieder hatte ich die Erwartungen nicht erfüllt. Wie immer nahm ich es schweigend hin und versank gedanklich in meine innere Leere. Da war es ruhig, egal was sie sagte oder tat, mein innerstes konnte sie mir wenigstens weder nehmen, noch verbieten, auch wenn ihre Worte schmerzten.
Alles, was sie sagte, war Gesetz und wurde nicht in Frage gestellt. Wenn sie sagte, das ich dies oder jenes zu tun hätte, dann hatte ich das zu machen, ob ich wollte oder nicht, war egal. Wenn ihr etwas nicht gefiel, dann bekam ich es auch nicht. Wenn es mal diese Momente gab, das sie mit uns Kindern beim Textildiscounter war und ich mir etwas raus suchen durfte, wählte ich etwas aus, was ihr vielleicht grade so noch gefallen könnte und mir etwas gefiel. Was mir wirklich richtig gut gefiel, durfte ich nicht nehmen, denn dann folgten Sprüche wie das sieht doch scheiße aus oder du hast einen Geschmack wie ein Mülleimer.
Ich war als Jugendliche alles andere als zufrieden mit meiner Kleidung, sie war mir größtenteils unangenehm und peinlich. Ich hatte nur wenig Teile, die ich wirklich trug, obwohl der Schrank voll war.
Was es zu Essen gab, bestimmte zwar nicht der Stiefvater, aber es gab immer nur das, was er essen wollte, das bedeutete jeden Tag Fleisch, Kartoffeln, Gemüse. Jeden Tag. Keine Nudeln, erst recht keinen Reis, kein Fisch. Immer nur Fleisch, Kartoffeln, Gemüse. Ich hasse es noch heute.
Familienunternehmungen, sowas gab es rückblickend nur zwei-drei Mal. Und wenn, dann entschieden das meine Mutter, vorallem aber der Stiefvater. Sie war ihm hörig. Ideen oder gar Vorschläge waren nicht erwünscht. Wichtig waren nur die Interessen des Stiefvaters, die meiner Mutter und meines kleinen Bruders, mein großer Bruder hatte sowieso eine Sonderstellung.
Ich fühlte mich abgeschottet. Ich hatte keine Möglichkeit mich zu entfalten, ich konnte keine Wünsche äußern, über meinen eigenen Körper durfte ich nicht bestimmen. Ich erfüllte nicht die Erwartungen meiner Mutter, ich war nicht die Tochter, wie sie es wollte. Ich fragte mich, was ich überhaupt bin. Ich konnte nicht das Bild wiedergeben, was meine Mutter haben wollte, egal wie viel Mühe ich mir gab, das was ich gut konnte, war unwichtig, das was wichtig war, konnte ich nicht.
Sie, die gute Mutter, die sich Mühe gibt. Ich, das schwarze Schaf, die dreiste, unfähige Tochter, die rum erzählt, sie wäre eine Rabenmutter.
Ich war für sie eine Enttäuschung. Und so fühlte ich mich auch.

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